M A R K U S K O R S E L T K U L T U R M A N A G E R D    I    R    I    G    E     N     T
M A R K U S K O R S E L T K U L T U R M A N A G E R D    I    R    I    G    E     N     T
Sigismund Freyherr von Rumling in München Sigismund Freyherr von Rumling stammte aus einer alten hessischen, auch im Elsass einst begüterten Familie ab, von welcher wir nichts weiter anzugeben wissen, als dass wahrscheinlich die zerstörende französische Revolution auch ihren Besitz verschlungen hat. Er kam vermuthlich zu Ende des fünften Decenniums im vergangenen Jahrhundert an den hiesigen Hof und ward Edelknabe, dann Kammerjunker oder, wie man diese damals nannte, Kammerpage des hochverehrten Churfürsten Maximilian Joseph II, welcher während des tiefen Friedens der Deutschland bis zu seinem Tode beglückte, sein Land mild und fromm beherrschte und dessen Andenken noch jetzt gesegnet wird. Der Zustand der hiesigen Musik war damals etwa folgender. Eine gut geordnete Kapelle mit ihrem Meister Bernasconi, der, wie seine Compositionen zeigen, seine Kraft ihr widmete - eine immer während des Karnevals eröffnete italienische Oper, gewöhnlich von einem fremden bewährten Meister componirt und von berühmten Sängern, worunter zu ihrer Zeit selbst Farinelli und Guadagni glänzten, dargestellt, mit freyem Eintritt für Gebildete und Kunstfreunde, welche aus Klöstern, Stiftern und Landstädten herbeyströmten, um Gedanken für ihre Tonarbeiten des nächsten Jahres zu sammeln - häufige Hofakademieen, woraus die Virtuosität in Deutschland hervorgegangen - mit wenig Ausnahmen täglich Kammermusiken, worin der Churfürst selbst im Spiele der Viola da gamba und Dilettant in der Tonsetzkunst seine Abendmusse zubrachte. Der deutschen Melpomene war noch kein Tempel angewiesen; der von Gottsched verbannte Hanswurst ergötzte hier noch lange, abwechselnd mit Passionsspielen, auf einer in dem Hinterhof eines Brauhauses angebrachten Bühne auf derbe Art sein Publicum, welchem auch Stände sich anschlössen, wenn nicht etwa eine dem Hofe berufene Gesellschaft französischer Schauspieler in einem Saale der Residenz oder auf dem ältern Operntheater ihre Zaire und ihren Tartüffe erscheinen liess. Auch der pantomimischen Ballets des damals berühmten Hrn Costanz muss Erwähnung gethan werden da, in späterer Zeit häufig Andere als ihre Producte das gaben, was der brave Mann für sich ersonnen hatte. Dazu in den grösseren Tempeln der Stadt Musiken mancher Art; bey den Jesuiten mit allem Prunk der damals üblichen Instrumente im hehren imponirenden Tone der Trompete und Pauke; in mehr bescheidener, der innern Gemüths Sammlung mehr entsprechender Weise, bey den Augustinern - während der Fastenzeit Meditationen und Oratorien, darunter Metastasio's Passione von der Composition des ernsten Jomelli und des gefälligen Misliwizeck. Diess war in jenen Jahren der Zustand der hiesigen Tonkunst, diess waren die Institute derselben. An ihnen entwickelte sich die natürliche Anlage unseres Kammerpagen, durch sie stärkte sich sein Kunstsinn und nach einer kurzen Anweisung in der Lehre des Generalbasses versuchte er sich in mancher Arbeit, schrieb Symphonieen für die Hofakademie, Ballets, Sonaten, Trio's, Kirchenmusik schrieb der bescheidene junge Tonsetzer nicht, in der Meynung, die er in späteren Zeiten nicht ohne Gründe doch etwas schüchtern aussprach, dass es dazu einer höhern Weihe eines von profaner Musik nicht angesteckten Sinnes, dass es der Wissenschaft und einer nicht oberflächlichen Kenntniss der Kirchensprache bedürfe, um sich mit gutem Gewissen an dieselbe zu wagen. Sein Streben ward auch allgemein anerkannt. Beyfall lohnte ihm der freundliche Churfürst, erfreut dass ein an seinem Hofe herangezogener Edelmann auf die gewöhnlichen Unterhaltungen verzichte und sich mit Edlerem beschäftige, ermunterte ihn und bezeigte ihm sein Wohlgefallen; man wünschte und suchte für ihn einen angemessenen Wirkungskreis. Aber die für ihn geeigneten Stellen waren mit noch lebensfrischen Männern besetzt und liessen keine nahe Erledigung erwarten. Rumling würde wahrscheinlich von seiner Kunstliebe nach und nach herabgekommen seyn und sich unter dem Alltäglichen verloren haben, hätte nicht sein Geschick auf andere Weise für ihn gesorgt. Es war in dem Jahre 1775 oder 1776, als der regierende Herzog Carl von Zweibrücken sich auf einige Zeit an dem Münchner Hofe zum Besuche aufhielt, den jungen Tonsetzer kennen lernte und ihm eine Anstellung in seinen Diensten antrug. Ungern wollte er sich von der Huld seines fürstlichen Gönners trennen, doch da dieser wohl selbst wünschen musste, seinen Zögling zu Höherem, was er jetzt nicht verleihen konnte, fortschreiten zu sehen und ihm die Aussicht zur Rückkehr bey günstiger Veranlassung liess, so nahm er die von dem Herzog ihm angebotene Anstellung an und folgte ihm nach seinem Hofe. In jener Epoche zählte man besonders in den gesegneten Gegenden des Rheines kaum einen Fürstenhof, der nicht seine eigene Kapelle hielt. Mainz, Trier, Bonn, das blühende Mannheim, sind der deutschen Kunstgeschichte unvergesslich. Wie mancher ausgezeichnete Tonkünstler hat dort gelebt und gewirkt, und als die Stunde der Zerstörung und Zerstreuung gekommen, durch seinen Ruf anderwärts ehrenvolle Aufnahme gefunden! Auch das kleinere Zweibrücken, wenn gleich ohne eigentliche Gesangkapelle, deren ihre Kirche nicht bedurfte, besass einen Verein geschickter Tonkünstler, ein treffliches Orchester und unter seinen Mitgliedern Danner, Lachnith, Lenoble, Gahr, die drey Brüder Welsch, Schinon, Staberl, Heroult, Richard, Popp, welcher letztere noch jetzt als Musiklehrer der Königlichen Prinzessinnen allgemein geachtet unter uns lebt. Dort unter und mit diesen Künstlern wirkte nun der neue, von Eifer glühende Intendant, schrieb, ordnete und leitete und wandte sich nun auch zur Gesangcomposition, um der auf dem Karlsberge unter Bouchers Direction bestehenden französischen Comödie, welche auch Ballette und die damals berühmten Operettchen von Monsigny Desaides und Gretry aufführte, Compositionen zu liefern. Seine Studien gelangen. Es zeichneten unter so manchen Arbeiten dieser Art vortheilhaft sich aus: Polidore, aufgeführt auf dem Karlsberg 1785, mit Zueignung an seine durchlauchtigste Gönnerin, die Frau Herzogin von Zweibrücken, in deren Andenken er noch geehrt fortlebt; besonders aber Romeo et Juliette, mit welcher Arbeit er nach Paris ging, wo sie auch auf die Bühne gebracht wurde. Näheres kann jedoch aus Mangel an gleichzeitigen Nachrichten über diese Composition, welche der Sammler dieser Lebenszüge vor mehreren Jahren durchgesehen, und worin er eine höchst reine Behandlung der Worte, so wie manche schöne den Sinn derselben treffende Melodie entdeckt zu haben glaubte, für jetzt nicht angegeben werden. Auch wäre es wohl überflüssig, länger dabey zu verweilen, da seither Begriffe und Geschmack sehr geändert sind und eine neue Tonwelt sich unserm Ohr geöffnet hat. Sie hat, wie so vieles andere, was von ihm kam, zu ihrer Zeit gewirkt und bewiesen, dass er seiner Stelle vollkommen würdig gewesen sey. Mit Ruhm kehrte er nun zu seinem Herzoge zurück, fuhr fort, der ihm anvertrauten Anstalt vorzustehen, schrieb noch Lieder, Symphonien, Tänze und organisirte die Musik der militärischen Corps, welche bald eine Pflanzschule für andere wurden. Viele seiner Arbeiten wurden gestochen, gingen aber, wie so vieles andere von ihm, unter; er selbst hatte das Meiste davon zerstört und wollte besonders in der letzten Zeit nicht, dass sein Name unter den Tonsetzern genannt würde. Indess war das Ungeheuer der Revolution in dem benachbarten Frankreich gross gezogen worden. Napoleon überschritt die Grenze Frankreichs; nur mit Mühe konnte der Herzog vor Gefangenschaft sich retten. Wenige der ihm Ergebenen folgten ihm. Wie in jenen unheilvollen Zeiten edle Fürsten oft herumirren und die Entbehrungen mit ihrem wenigem Gefolge theilen mussten, ist Niemanden unbekannt. Herzog Maximilian Joseph übernahm 1795 den übrig gebliebenen Hofstaat seines verblichenen Bruders Carl, er ward Churfürst und trat die Regierung Bayerns 1799 an; seine Angehörigen folgten ihm dahin, unter ihnen Rumling. Der Hofstaat des Herzogs war an den Churfürsten gekommen, Graf Seeau, bisheriger Hofmusikintendant in München, war gestorben. Rumling wurde nach Recht und Herkommen sein Nachfolger; es wurde ihm eine angenehme Wohnung in dem herzoglichen Garten angewiesen, ein anständiger Gehalt zugesprochen, aber zu seiner Bestürzung war die Führung des Kunstinstitutes selbst, die Leitung des Amtes, während seiner kurzen Abwesenheit schon an einen Andern übertragen worden. Einige Jahre später erhielt er eine Malthesercommende. Sie lag in einer angenehmen Gegend des Landes und er war eben im Begriff, sich, um sein unthätig gewordenes Leben zu bergen, auf dieselbe zurückzuziehen, als das Ordensgut eingezogen und er mit den übrigen Exrittern mit einer jährlichen Pension entschädigt wurde. So sah er sich nun auf sich selbst zurückgewiesen. Immer erschien er am Hofe und das Zutrauen seines bald zum Könige erhobenen Herrn, ward ihm nie entzogen; selten fehlte er in dem Theater und dem Concertsaale. Man hörte wohl manchmal treffende Urtheile von ihm, allein sie gingen oft, wie er selbst, unbemerkt an uns vorüber. Man ist nicht geneigt, dem etwas zuzutrauen, welchem in der bürgerlichen Gesellschaft kein eigentlicher Wirkungskreis beschieden ist. Endlich ward ihm jedoch, was er schon in früherer Zeit mit Rechte erwarten konnte. Der Titular Intendant trat 1818 in die Stelle des wirklichen, doch nur für die Leitung der königlichen Kapelle, indem die Verwaltung der Bühne schon mit Anfang der neuen Regierung (1799) von derselben geschieden und dem in der literarischen und dramatischen Welt rühmlichst bekannten Hrn von Babo übertragen worden war. Aber die Jahre waren gekommen, und wer sich dem Greisenalter nähert, rüttelt wohl nicht gerne mehr an herkömmlichen Formen, ändert nicht gerne mehr an Gebräuchen, welche durch Gewohnheit sanctionirt sind, wären es auch Missbräuche, besonders, wenn sie von Eigensinn und Einsprüchen mancherley Art festgehalten werden. Mit Thätigkeit, aber nicht selten auch mit störrigem Beharren auf seiner Meinung, und einredenden Vorstellungen nicht sehr hold, verwaltete er das ihm so spät zu Theil gewordene Amt, mit dem Glauben, immer nur Gutes zu wollen, immer nur das Rechte zu fördern. Die Abnahme der Kräfte trat ein und nach einem kurzen Krankenlager schied er von uns am 7 May des gegenwärtigen Jahres 1825, wahrscheinlich 78, 79 Jahre alt, denn Ort und Tag der Geburt kann von Keinem der noch Lebenden richtig angegeben werden.  Er hatte sich selbst überlebt und würde bald ganz vergessen seyn, hätte er nicht noch kurze Zeit vor seinem Tode durch eine Handlung voll Edelmuth und der reinsten Gesinnungen sein Andenken jedem Kunst- und Menschenfreunde achtungswerth erhalten. Nicht unbekannt mit dem Treiben und Dichten der Menschen, ihrem, wie er es wohl selbst erfahren, rücksichtlosen Drängen nach Aemtern und keinesweges trauend einem noch so holden Scheine der Gegenwart, dachte er, geleitet von einem wahren Kunstpatriotismus, daran, die Nachfolge in seinem Amte so zu sichern, dass sie erfreulich und förderlich für das Institut, immer nur zu Grösserem und Höherem hinführen könne. Im Vertrauen auf die Huld seines königlichen Gönners that er bey vollster Gesundheit, ohne äussere Veranlassung, mit freyem Vorbedacht, den seltenen Schritt und erbat sich zu seinem Nachfolger den Würdigsten, den Kenntnissreichsten, durch seine zahlreichen musikalischen Werke rühmlichst bekannten Johann Nepomuk Freyherr von Poissl, wie ihn die öffentliche Stimme selbst würde gewählt haben, und nicht bloss zum Adjunct, sondern so, dass auch er zum wirklichen Intendanten ernannt würde, und lebte und wirkte mit diesem gegen zwey Jahre fort in ungestörter Ruhe, und so wenig er auch seinem Ansehen und seiner Erfahrung etwas wollte vergeben wissen, im schönsten Verein. Der Bitte des Verewigten, welche die Wahl des Königs bestimmte, danken wir die Hoffnung, dass Einsicht, Rechtlichkeit und Humanität, die hiesigen Kunstanstalten fortwährend leiten werden. zurück
Allgemeine musikalische Zeitung, Band 28, Muzio Clementi, Leipzig, 1826